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Die Mikroben und ich

Sulamtih Tamborriello

Unsere Vermittlerin Sulamith denkt über die Frage einer Besucherin nach.

Ganz verwirrt kommt mir eine Besucher:in in der Ausstellung entgegen und fragt: «Wenn so viele Mikroben in und auf uns leben – sind wir dann ein Organismus oder viele?»

Gute Frage, denke ich. Bis heute bin ich mir nicht sicher, wie diese zu beantworten wäre. Sind 2 Kilogramm meines eigenen Körpers gar nicht ich? So schwer wären nämlich alle Mikroben auf meinem Körper, wenn man sie wiegen könnte. Wo verläuft die Grenze zwischen mir und dem, was mich umgibt?

Das komische Gefühl, dass mein Körper nicht nur ich sein könnte, lässt mich nicht los. Was würde das denn bedeuten, nicht nur ich zu sein? Würde ich dann anders auf die Welt zugehen?

In meiner Nase leben Bakterien, deren Zusammensetzung genauso charakteristisch ist für meinen Körper wie mein Fingerabdruck, und die Mikroben in meinem Darm sind nicht nur für meine Verdauung zuständig, sie beeinflussen auch meine Psyche. Wie selbstbestimmt bin ich, wenn alles mit allem zusammenhängt? So beunruhigend die Vorstellung ist: Eigentlich bedeutet das, dass ich nicht allein für meine Stimmung verantwortlich bin. «Meinen Darmbakterien geht es nicht gut, deshalb bin ich heute nicht gut drauf.» Wie schön, wenn wir so mal unseren Freund:innen unsere Stimmungen erklären könnten. Und doch: Ich fühle mich – oder uns? – fremdbestimmt.

Beim Verlassen der Ausstellung desinfiziere ich meine Füsse und gebe mich dem Gefühl hin, wenigstens ein bisschen Kontrolle über die Bakterien und Mikroben auf meinem Körper zu haben.

Sulamtih Tamborriello ist Vermittlungsperson und leitet Rundgänge und Workshops in der Ausstellung.