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Recovery und Peer-Arbeit: Neue Perspektiven auf Genesung

Psychische Krisen sind weit verbreitet – gibt es Wege, selbstbestimmt zu genesen? Die Recovery-Bewegung zeigt neue Perspektiven auf und stellt persönliche Erfahrungen in den Mittelpunkt. Im Stapferhaus-Gesprächsformat «Living Library» greifen wir diese Art des Austauschs auf Augenhöhe auf.


Obwohl die psychiatrische Versorgung in der Schweiz gut ausgebaut ist, werden viele Betroffene nicht optimal versorgt. Lange Wartezeiten, fehlende Therapieplätze oder eine stark symptomorientierte Behandlung können problematisch sein. Auch deshalb werden Ansätze wichtiger, die über klassische Behandlungsmodelle hinausgehen und individuelle Wege der Gesundung in den Blick nehmen.


«Nothing about us without us»

Eine solche Perspektive bietet die Recovery-Bewegung. Diese hat ihren Ursprung in den USA der frühen 1990er-Jahren, als Betroffene begannen, ihre persönliche Behandlung stärker mitzugestalten. Sie hinterfragten die Vorstellung, dass eine psychische Erkrankung zwangsläufig ein Leben in Abhängigkeit von der Psychiatrie bedeutet. Statt nur auf Symptombekämpfung zu setzen, verfolgten sie den Ansatz individueller, selbstbestimmter Strategien, die Integration und Akzeptanz in den Mittelpunkt stellen. Wichtige Stimmen der Bewegung waren Patricia Deegan (USA) und Diane Rose (England), die trotz Schizophrenie-Diagnosen Wege der Genesung fanden.

«Beim Akzeptieren, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können. Recovery ist eine Art zu leben.» Patricia Deegan, Vertreterin der Recovery-Bewegung, 1996


Peer-Arbeit: Unterstützung auf Augenhöhe

Aus dieser Philosophie entstand das Konzept der Peer-Arbeit. Peers – auch Expert:innen aus Erfahrung genannt – haben eigene psychische Krisen durchlebt, ihren Gesundungsprozess reflektiert und nutzen ihr Wissen, um andere auf ihrem Weg zu mehr Selbstermächtigung zu unterstützen. Nicht als Therapeut:innen, sondern als Gesprächspartner:innen auf Augenhöhe.

Dieses Modell hat mittlerweile auch international Anklang gefunden. In der Schweiz sind Peers seit 2009 ein fester Bestandteil vieler psychiatrischer Einrichtungen, sowohl stationär als auch ambulant – sei es in Kliniken, Bildungsprojekten oder der Suchthilfe. Dass dieses Konzept inzwischen weit über die Psychiatrie hinaus auch in anderen Gesundheitsbereichen Anwendung findet, zeigt: unter «gesund werden» verstehen wir heute weit mehr als nur medizinische Behandlung. Zwischenmenschliche Unterstützung und gesellschaftliche Akzeptanz gelten genauso als entscheidende Faktoren für eine nachhaltige Genesung.

Vor diesem Hintergrund wird Gesundung zu einem gemeinsamen Prozess, in dem alle Menschen mit ihren individuellen Ressourcen einen Beitrag zu einer inklusiveren Gesellschaft leisten.


Living Library: Zuhören und neue Perspektiven gewinnen

Der Peer-Philosophie nicht unähnlich kommen in unserem neuen Format «Living Library» auch Expert:innen aus Erfahrung zu Wort. Am 23. April geht es in die erste Runde zum Thema Schlaf. Neben Schlafforscher:innen teilen Menschen mit eigenen Erfahrungen ihre Erkenntnisse und Strategien im Umgang mit Schlafstörungen, aber auch mit Phänomenen wie dem luziden Träumen. Besucher:innen können sich austauschen, Fragen stellen und so neue Perspektiven auf das Thema gewinnen. Auf Anmeldung!

Quellen:


  • Unterstützung zwischen Gleichen: Was Peer-Arbeit in psychiatrischen Angeboten bewirkt, Dr. Christian Burr, Berner Fachhochschule
  • Was bedeutet Recovery?, Pro mente sana
  • Anthony, W. A. (1993). Recovery from mental illness: The guiding vision of the mental health service system in the 1990s. Psychosocial Rehabilitation Journal, 16(4), 11-23.
  • Burr, C., Krieglstein, T., & Rössler, W. (2021). Peer-Arbeit in der Psychiatrie: Ein Überblick über den aktuellen Stand. Psychiatrische Praxis, 48(5), 247–253.
  • Lyons, N., Cooper, C., & Lloyd-Evans, B. (2021). A systematic review and meta-analysis of group peer support interventions for people experiencing mental health conditions. BMC Psychiatry, 21(1), 315.
  • Leamy, M., Bird, V., Le Boutillier, C., Williams, J., & Slade, M. (2011). Conceptual framework for personal recovery in mental health: Systematic review and narrative synthesis. The British Journal of Psychiatry, 199(6), 445-452.
  • World Health Organization (WHO). (2017). Guidance on community mental health services: Promoting person-centred and rights-based approaches. WHO Publications.