Warum wir tote Tiere ausstellen

Täglich erreichen uns kritische, lobende und fragende Rückmeldungen von Besucher:innen. Zum Beispiel schrieb uns eine Besucherin folgendes:
«Mir sind die ausgestopften Tiere aufgefallen und da hab ich mich gefragt, ob das keine Doppelmoral ist, wenn vermittelt wird, dass die Tiere wichtig sind, aber man dann ausgestopfte Tiere präsentiert. Warum wurden diese Tiere so gezeigt und nicht einfach auf Bildern?»
Unserem Naturverhältnis auf der Spur
Alle präparierten Tiere, Pflanzen und Mineralien, die wir in der Ausstellung zeigen, durften wir aus den Sammlungen von naturhistorischen Museen ausleihen. Wir stellen sie in einem Raum aus, in dem es um die ambivalente Geschichte unseres Verhältnisses zur Natur geht. Der Raum, der visuell an ein naturhistorisches Museum im 19. Jahrhundert angelehnt ist, erzählt davon, wie der Mensch die Natur fürchtete, eroberte, erforschte, verkaufte, schützte und ordnete. Der Raum macht deutlich, dass es zu jeder Zeit unterschiedliche Vorstellungen und Konzepte davon gab, was Natur ist. Er erzählt aber auch, dass sich in westlichen Gesellschaften die Vorstellung durchgesetzt hat, der Mensch stehe hierarchisch über anderen Lebewesen und sei in der Lage, sich alles Natürliche unterzuordnen.
All das wird in Form von kürzeren Geschichten erzählt, jede anhand eines konkreten «Natur-Objektes», also eines bestimmten Steines, einer bestimmten Pflanzensammlung oder eines bestimmten Tieres. Wir glauben, es hat eine besondere Erzählkraft, wenn ein:e Besucher:in zum Beispiel genau vor dem Löwen steht, um den es im Ausstellungstext auch geht. Ein Löwenfell, das in einer Vitrine zu sehen ist, die auf dem Boden liegt, weckt Interesse für die Geschichte dahinter. Und es erzeugt vielleicht auch ein etwas mulmiges Gefühl, an das die dahinterstehende Geschichte gut anknüpfen kann.

Die Herkunft thematisieren
Den Löwen – oder genauer: seine Haut – stellen wir in der Rubrik «erobern» aus. Er wurde in den 1920er-Jahren vom Berner Adeligen Bernard de Watteville geschossen. Dieser erlegte, unterstützt von zahlreichen lokalen Helfer:innen, auf einer Jagdreise in Kenia hunderte von Wildtieren, um sie später ans Naturhistorische Museum Bern zu liefern. Dort konnte aber nur ein Bruchteil wirklich ausgestopft und ausgestellt werden. Der Rest der Felle lagert bis heute in den Sammlungsräumen des Museums.
Die Bedingungen, unter denen das Löwenfell vor über 100 Jahren ins Museum kam, zeugen von einem hierarchischen Naturverständnis: ein europäischer Adeliger erlegt im Stil eines Kolonialherren in Kenia nach Belieben Tiere , um zu Hause in Bern ein verklärtes Bild der «wilden» afrikanischen Natur zu vermitteln.
Indem wir in der Ausstellung auf die Herkunftsgeschichten der ausgestellten Tiere fokussieren, machen wir also gewissermassen die von unserer Besucherin angesprochene Doppelmoral zum Thema. Sprich: Wir wollen nicht in erster Linie den Löwen selbst ausstellen, sondern das Naturverständnis, welches dazu führte, dass dieses Löwenfell überhaupt erst in der Schweiz gelandet ist.
Über Werte diskutieren
Auch losgelöst von den konkreten Geschichten dahinter können ausgestopfte Tiere spannende Fragen in den Raum bringen, die uns letztlich direkt zu unserem gegenwärtigen Naturverständnis bringen:
Wann geraten Sie zum Beispiel am ehesten ins Stocken, wenn Sie es in einer Vitrine sehen: Bei einer Steinsammlung, einer Muschelschale, einer plattgedrückten Pflanze, bei aufgesteckten Ameisen oder bei einem Hund? Was ist unheimlicher: Einem ausgestopften Affen ins Gesicht zu schauen oder einem präparierten Kugelfisch? Was würden Sie dazu denken, wenn Sie plötzlich vor einem echten ausgestopften Menschen stehen würden?
Im Diskutieren über solche Fragen zeigt sich, dass unser Denken über Natur immer mit bestimmten Werten verbunden und voller Widersprüche ist. Darüber nachzudenken und zu diskutieren ist hilfreich, wenn wir unser Verhältnis zur Natur neu verhandeln wollen.